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Kreislaufwirtschaft in der
Faser- und Textilindustrie

Reinhard Backhausen ist ein Vordenker in Sachen Kreislaufwirtschaft und berät namhafte Unternehmen weltweit, nicht nur in der Textilindustrie. Als Mitglied des Expert*innen-Teams der Klimaschutzministerin treibt er die Implementierung der Kreislaufwirtschaft in Österreich ab 2022 voran. Das Gespräch mit ihm eröffnet Syngroup Geschäftsführer Walter Woitsch mit einem einfachen Beispiel: Ein Herrenhemd aus Baumwolle wiegt ca. 20 dag und wir nehmen an, es kostet heute 80 Euro. Derzeit liegt der Preis für 1 kg Baumwolle am Weltmarkt bei ca. 80 Cent. Dagegen liegt der Kilopreis für die Hemden in unserem Beispiel bei 400 Euro.

Wo liegen bei einer so beeindruckenden Wertschöpfung die größten Hebel für den schonenderen Umgang mit Ressourcen: In der Logistik? Auf dem Weg zum fertigen Produkt sind Baumwolle und andere Vormaterialien für die verschiedenen Bearbeitungsschritte zumindest einmal um die Welt gereist. Welche Rolle spielt die Technologie und hat die verarbeitende Industrie echte Einflussmöglichkeiten? Was ist die Rolle der Politik, des Handels und der Konsument*innen. Was sind aktuell die großen Themen, die den Weg in Richtung Kreislaufwirtschaft beschleunigen oder bremsen können?

Zu unterscheiden ist zunächst laut Reinhard Backhausen zwischen dem großen internationalen Bild und dem Verhalten der einzelner Player. Die Firmen seien meist schlicht überfordert und wüssten noch nicht recht, wie sie Themen wie Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft konkret angehen sollen. Für den Experten ist es Aufgabe der Politik, Rahmenbedingungen und Anreize zu schaffen, die Unternehmer*innen dazu veranlasst, notwendige Veränderungen mitzutragen und voranzutreiben. Dabei sei der 2019 von Ursula von der Leyen ausgerufene European Green Deal ein Meilenstein. In dieses Konzept sei schon viel hineingepackt, was in Zukunft geschehen soll. Europa kann eine Vorreiterrolle spielen unter der Voraussetzung, dass „Die großen Vier“ (China, USA, Russland und Indien) mitziehen. Weiter heruntergebrochen könnte ein kleines Land wie Österreich die Entwicklungen fokussieren und eine Vorbildfunktion einnehmen, wie es Holland heute bereits vorzeigt.

ECODESIGN ALS SCHLÜSSEL ZUR KREISLAUFWIRTSCHAFT

Förderungen oder steuerliche Erleichterungen wären ein Anstoß, konsequent richtiges Ecodesign zu entwickeln. Dabei geht es von Beginn an um die Beantwortung der Frage, was mit einem Produkt am Ende seines Lebenszyklus passieren soll. Wie kann es verwertet oder recycelt werden und wie können alle Komponenten, in die es aufgetrennt wird, wieder einem Kreislauf zugeführt werden können. Österreich sei hier schon weit fort-geschritten, konstatiert Reinhard Backhausen und verweist auf wegweisende Forschungen an der TU Wien. Unter der Leitung von Prof. Andreas Bartl wird am Institut für Verfahrenstechnik die chemische Aufbereitung von Mischtextilien aus Polyester und Baumwolle und deren Wiederverwendung erforscht und umgesetzt.

Neben Forschung und Entwicklung, so der Experte, sei es essentiell, Unternehmen zu neuen Ansätzen hinzuführen um anhand von Vorbildern in der wirtschaftlichen Praxis den Mehrwert innovativer Konzepte transparent zu machen. Backhausen verweist dabei exemplarisch auf Brantner Green Solutions. Im Bereich Abfall- und Ressourcenwirtschaft setzt das Kremser Unternehmen auf den Einsatz intelligenter Technologien wie Künstliche Intelligenz, Sensorik, Robotik oder Telematik. Bildgebende Systeme etwa unterstützen bei Trennung und Sortierung.

MACHEN – ZERTIFIZIEREN – KOMMUNIZIEREN

In Umweltfragen gilt das Verursacherprinzip, ist Backhausen überzeugt. Die größte Verantwortung liegt bei den Herstellern, die den Handel überzeugen müssen, der es wiederum schlüssig den Konsument*innen kommuniziert. Die Vorgaben müssen von der Politik kommen und es ist die Verpflichtung aller mitzuziehen. „Es muss in die Köpfe!“ Dafür braucht es auch einheitliche, nachvollziehbare Öko-Labels wie z.B. bei Lebensmitteln. Unter den derzeit 400 Öko-Labels gibt es auch eines der Europäischen Kommission, das aber nicht verwendet wird. Ziel muss es sein, ein Cradle-to-Cradle System, das dem natürlichen Prinzip der Kreisläufe ohne Abfall in allen Bereichen folgt, zu erreichen – umweltfreundliche Produktion, erneuerbare Energien, technische und biologische Kreisläufe, soziale Standards.

Die technologische Umsetzung liegt bei der verarbeitenden Industrie, insbesondere bei den Maschinenbauern. Es gibt vielversprechende Ansätze, aus PET wieder Fasern zu machen, biologisch abbaubar. „Da liegt Musik drin. Wenn synthetische Fasern biologisch abbaubar gemacht werden können wird’s spannend“ sagt Backhausen.  Die Technologie muss für alle zugänglich werden, denn wenn ich alles in den Kreislauf rückführen kann, wird ‚intelligentes verschwenden‘ möglich. Die natürlichen Ressourcen werden nämlich nicht ausreichen. Es braucht Intelligente Technologien in Verbindung mit Reduktion in allen Bereichen.“

UNGENÜTZTES POTENTIAL BEI TEXTILSAMMLUNG UND -RECYCLING

Nur ein kleiner Teil fertiger Gewebe und Textilien wird heute am Ende des ersten Lebenszyklus zur Weiter- oder Wiederverwendung verschickt oder verkauft, kaum nachvollziehbar, unabgestimmt und in kleinen Einheiten. Das muss fokussierter passieren, sagt Reinhard Backhausen: „Die Herausforderungen sind groß, denn es landen ja viele Verbundstoffe in den Containern. Die Technologie wird sich dabei in den nächsten 5 bis 10 Jahren stark verändern, Stichwort Künstliche Intelligenz und Erkennungs-Systeme. Vor allem aber müssen wir die Wegwerfgesellschaft hinter uns lassen.“ Allen voran läge die Verantwortung bei den Herstellern, mahnt der Kreislaufwirtschafts-Experte. Die Cradle-to-cradle (C2C) Philosophie hat Backhausen schon früh in seinem Haus etabliert. Es hieße für die Hersteller auch Produkte zurückzunehmen, unterstützt z.B. durch Anreiz-Systeme, mit dem Ziel einer professionelleren Rückführung in den Wiederverwertungskreislauf. Dazu braucht es ein neues Geschäftsmodell, bei dem Konsument*innen ein Produkt nicht besitzen müssen, sondern für dessen temporäre Nutzung bezahlen. Zusätzlich braucht es eine genauere Prüfung und Kennzeichnung, damit Käufer ihre Wahl qualifiziert beeinflussen können, z.B. bei C2C-zertifizierten Produkten.

DIE NEUE ROLLE EUROPAS

“Globale Kooperation ist unumgänglich. Vom Handel initiiert wird für Europa viel in Asien produziert. Das macht uns abhängig und aus der Pandemie haben wir wenig gelernt – Stichwort Maskenproduktion. Wenn wir die (Rest-) Produktion in Europa halten wollen, müssen wir Bereiche wie Technologie-Entwicklung in Recyclingfragen zurückholen und hier wieder stärken. Wenn die Produktion dann etwas teurer wird, macht das nichts. Die Industrie allein schafft es nicht, es geht nur mit dem Handel.

GLOBALE KOOPERATION UND SCHNELLES HANDELN ALS LÖSUNG

In der sehr langen und vielteiligen Wertschöpfungskette der Textilindustrie können einzig globale Kooperationen zum Ziel führen. „Wir hätten die Chance, hier alle an einem Strang zu ziehen“, meint Backhausen und ergänzt,  dass den Lippenbekenntnissen und Ankündigungen der größten Player – dem langsamen Einschwenken der USA auf den europäischen Weg bei der Klimapolitik oder der strengen Verschärfung der Klimaziele Chinas – Taten folgen müssen. Wenn wir global über Klima, Umwelt oder Lieferketten sprechen wollen, nimmt das unglaublich viel Zeit in Anspruch, die wir nicht mehr haben. Die Menschheit muss den Willen aufbringen, schnell zu handeln – mit allen Konsequenzen und inklusive der Bereitschaft zur Veränderung in allen Bereichen. Es braucht einen Mindshift bei den Konsument*innen unter Vorgabe veränderter Rahmenbedingungen und mit technologischer Unterstützung.

FAZIT

Wir stehen heute vor einer riesigen Transformation der Wirtschaft. Ausgehend von Industrie und Handel gelte es, die Verbraucher*innen mitnehmen. Wenn die Politik dazu noch die Rahmenbedingungen schafft – gut so. Auf sie warten dürfen wir aber keinesfalls, so Backhausen: „Wir können zum Mars fliegen, setzen die Intelligenz dabei aber falsch ein. Wir brauchen einen zukunftsorientierten Umgang mit Rohstoffen und Energie, keine Weltraumausflüge. Und wir haben die Verpflichtung alles zu tun, damit der Dampfer schnell einen den Kurs korrigiert. Leider sind wir keine schnellen, wendigen Jets sondern träge Flugzeugträger. Trotzdem bin ich optimistisch – auch dass die nächsten Generationen vernünftiger und weniger verschwenderisch sein werden.“

ZUR PERSON

REINHARD BACKHAUSEN leitete bis 2012 die traditionsreiche gleichnamige Weberei für hochwertige Möbel-und Vorhangstoffe. Schon seit 2008 beschäftigt er sich intensiv mit dem Thema Kreislaufwirtschaft und etablierte in seinem Haus die Philosophie „Cradle-to-Ccradle“. Mit seiner Consulting-Firma berät er heute namhafte Unternehmen in der Textilindustrie und anderen Branchen weltweit und ist auf Business Development, Marketing, Strategie und die Implementierung der Kreislaufwirtschaft spezialisiert.

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